Mit Spannung wurde das Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) zum Facebookfall erwartet. Am 12. Juli entschied das oberste deutsche Gericht zugunsten der Kläger. Facebook muss den Eltern des toten Mädchens Zugang zum vollständigen Profil gewähren. Wir gehen der Frage nach, was dieses Urteil möglicherweise für die Zukunft bedeutet.


Fünf Jahre Prozess gegen Facebook

Nachdem ihre Tochter im Dezember 2012 in Berlin von einer einfahrenden U-Bahn erfasst und kurz darauf gestorben war, hatte die Mutter gegen Facebook geklagt. Sie wollte Einblick in das Facebook-Profil ihrer Tochter, um eventuell vorhandene Hinweise auf einen Suizid zu finden. Eine unbekannten Person meldete des Mädchen bei Facebook als verstorben, das Profil wurde in den Gedenkzustand überführt. Die Mutter konnte sich trotz Zugangsdaten dort nicht mehr einloggen. Sie klagte auf Zugang und bekam in der ersten Instanz Recht zugesprochen. Das Verfahren in der zweiten Instanz gewann Facebook. Nun hat in dritter und letzter Instanz das oberste deutsche Gericht entschieden, dass Facebook den Zugang ermöglichen muss. Fünf Jahre lang hat die Auseinandersetzung gedauert. Von Prozess von Prozess ist das öffentliche Interesse gestiegen, weil es um grundlegende Fragen des digitalen Nachlasses geht, die weit über Facebook hinaus von Bedeutung sind.

In einem ersten Beitrag haben wir bereits die Vorgeschichte und die Relevanz des Verfahrens beschrieben

Das Gericht priorisiert das Erbrecht

Als rechtlicher Laie mag man sich wundern, warum die verschiedenen Gerichte zu einem unterschiedlichen Ergebnis kommen. In der Rechtsprechung werden unterschiedliche Gesichtspunkte eines Falls gegeneinander abgewogen. Das Berliner Kammergericht hatte im Mai 2017 die Sperre des Facebook-Kontos unter Verweis auf das Fernmeldegeheimnis bestätigt. Dieses Urteil haben die Karlsruher Richter nun aufgehoben.

Die zentrale Begründung des Urteils: private Daten im Internet wie ein Facebook-Konto fallen nach dem Tod des Nutzers grundsätzlich an seine Erben. Es bestehe kein Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln als etwa Briefe und Tagebücher. Der Berufung des US-Konzerns auf den Schutz der Gesprächspartner des Profilinhabers hält das Gericht entgegen, jeder müsse damit rechnen, dass die Erben nach dem Tod Zugriff auf die Kommunikation erhalten. Das gelte im Analogen wie im Digitalen, Zwar könne der Absender einer Nachricht auf Facebook darauf vertrauen, dass die Mitteilung an ein bestimmtes Nutzerkonto gehe - nicht aber an eine bestimmte Person. Die Inhalte danach zu unterscheiden, wie persönlich sie sind, lehnen die Richter ebenso ab. Das sei im Erbrecht generell nicht üblich.

Der Anspruch der Erben ergibt sich nach Auffassung des BGH aus dem Nutzungsvertrag, den das Mädchen mit Facebook hatte. Die Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag seien auf die Erben übergegangen. Das Fernmeldegeheimnis stehe dem Anspruch der Mutter nicht entgegen. Wenn E-Mails und Chatprotokolle noch auf einem Server im Internet liegen, fallen sie unter den Schutz des Fernmeldegeheimnisses. Das Telekommunikationsgesetz schreibt dann vor, dass die Anbieter keinem „anderen“ Kenntnis von der Kommunikation geben dürfen. Der BGH erklärte nun, dass die Erben keine „anderen“ im Sinne des Gesetzes seien. Der Erblasser rücke vollständig in die Position des verstorbenen Vertragsinhabers ein und gelte nicht als ein Dritter in der Beziehung zwischen den ursprünglichen Kommunikationspartnern. Auch die seit Mai 2018 gültige Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ändere nichts daran, denn diese Verordnung schütze nur lebende Personen.

Die Urteilsverkündung können Sie hier sehen:

Und Facebook?

Der Richterspruch hat eine weitreichende Bedeutung, denn er betrifft nicht nur Facebook, sondern alle Internetanbieter. Das Urteil ist grundsätzlicher Art. Dennoch werden in Zukunft Angehörige nach dem Tod nicht immer Benutzerkonten zu allen Sozialen Netzwerken erben. Geklärt wurden im Urteil juristische Grundsatzfragen. In dem entschiedenen Fall muss Facebook die Daten an Eltern heraus geben. Die Begründung enthält auch den Passus, dass die Vererblichkeit nicht durch die vertraglichen Bestimmungen ausgeschlossen war. Die Nutzungsbedingungen von Facebook enthalten hierzu keine Regelung. Wie sich dieses Urteil auf die Nutzungsbedingungen von Onlineplattformen auswirken werden, ist noch nicht abzusehen. Vermutlich prüfen schon einige Juristen, wie die Regeln neu zu formulieren sind.

Die Entscheidung des BGH findet große Zustimmung. Zum einen können Erben sich nun auch für Onlinekonten auf dieses Urteil beziehen. Ihre Rechte sind gestärkt worden. Zum anderen erhält Facebook erneut einen Dämpfer. Facebook hält den Datenschutz hoch, wenn es keinen wirtschaftlichen Vorteil davon hat. Die Accounts von Verstorbenen zu verwalten und den Zugriff rechtlich abzusichern, ist mit einem hohen Aufwand verbunden. Andererseit kennt das Unternehmen keine Grenzen, alle Daten seiner Nutzerinnen und Nutzer auszuwerten und in bare Münze umzuwandeln. Das ist höchst unglaubwürdig.

Manche kritisieren, dass der BGH mit der Gleichsetzung von Briefen und Internetchats die Unterschiede von analoger und digitaler Kommunikation nicht ausreichend beachtet hat. Der Facebookzugang ermöglicht auch den Einblick in die Kommunikation in geschlossenen Gruppen, an der die verstorbene Person vielleicht gar nicht beteiligt war. Aber vielleicht fällt Facebook ja eine andere Lösung ein, diese Kommunikation zu schützen. Hinter den grundsätzlichen Anspruch von Erben auf den Zugang zum Profil einer verstorbenen Person, kann nun niemand mehr zurück.