Unsterblichkeit ist ein alter Menschheitstraum, jetzt scheint sie in greifbare Nähe gerückt. Das Internet macht’s möglich. In den virtuellen Speichern des Cyberspace gehe niemand verloren, behaupten die digitalen Unsterblichkeitspropheten. Aber wollen wir diese Art von Unsterblichkeit? Oder müssen wir gegensteuern, weil Sterblichkeit ein Segen für den Menschen ist?


Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist so alt wie die Menschheit

Die Wandmalereien der Höhlenbewohner, die Pyramiden der Ägypter oder der christliche Glaube an die Auferstehung - schon immer hat der Mensch Wege gesucht, unsterblich zu sein. Jetzt hat die uralte Menschheitsfrage, ob es ein Weiterleben nach dem Tode gibt, mit dem schier unbegrenzten virtuellen Räumen des Internets eine neue Dimension erreicht.

Früher war die Frage nach dem Leben nach diesem Leben den Philosophen und Theologen vorbehalten. Die Unsterblichkeit gehört zur Grundausstattung fast aller Religionen. Verschiedene Modelle sind im Angebot, die leibliche Auferstehung der Christen, die Seelenwanderung im Hinduismus, das Eingehen ins Nirvana im Buddhismus. Götter sind unsterblich, die menschliche Seele ebenso. Die Philosophen aller Jahrhunderte haben sich an der Unsterblichkeit abgearbeitet und bieten verschiedene Modelle an. In Platons Philosophie ist die Seele ein immaterielles Prinzip. Sie existiert bevor ein Körper entsteht und besteht weiter, wenn dieser Körper vergeht.

Die neuen Anbieter für Unsterblichkeit sterben selbst wie die Fliegen

Der Futurologe Ian Pearson prophezeit schon für das Jahr 2050 eine digitale Unsterblichkeit, die der wahren Bedeutung des Wortes näher kommt. "Es wird dann möglich sein, den Geist auf eine Maschine zu laden, sodass der körperliche Tod kein wirkliches Problem wäre", glaubt er.

Die Vertreter des ewigen Lebens im Internet heißen foreveridentity oder immortal.me foreveridentity bietet drei Wege zur Ewigkeit: eine 3D holographische Darstellung einer historischen Figur, eine vollständig personalisierte 3D-Darstellung einer Live-Berühmtheit, eines Athleten, eines Leaders oder die eigene digitale Identität mit Emotionen und Erinnerungen zu reproduzieren. Das Projekt immortal.me will ein soziales Netzwerk schaffen, in dem man an Zukunftstechnologien teilhaben kann, wenn man sich engagiert. Es wirbt mit dem Motto "Want to be immortal? Act!".

Es sind nicht die ersten Versuche, mit dem Wunsch nach dem ewigen Leben Kunden zu gewinnen. Die Plattform virtualeternity.com wurde 2010 angepriesen mit “Virtual Immortality: now available”. Acht Jahre später ist diese Webseite begraben. Ebenso swissdnabank.com, die mit dem Slogan „store your life, forever“ versprach, die DNA-Information des Kunden in einem ehemaligen Atombunker Schweiz bombensicher aufzubewahren.

Etwas vorsichtiger formuliert eterni.me die virtuelle Unsterblichkeit. Eterni.me sammelt Gedanken, Geschichten und Erinnerungen eines Menschen, kuratiert sie und erschafft einen intelligenten Avatar, der genauso aussieht. In der Zukunft könnten andere mit den Erinnerungen, Geschichten und Ideen interagieren, fast so, als ob sie mit diesem Menschen sprechen würden.

Von welcher Unsterblichkeit reden wir eigentlich?

Unsterblichkeit fasziniert seit jeher. In der Götterwelt des antiken Griechenlands haben die unsterblichen Götter sehr menschliche Züge. Ihre Nachfahren sind in den Fernsehserien der Gegenwart wie Highlander oder Heroes zu finden. Hier sind sie zu Helden geworden. Keine Normalsterblichen, sondern zu etwas Besonderem berufene Helden. Selbst Menschen, die nicht physisch unsterblich sein wollen, möchten der Nachwelt etwas hinterlassen, im Gedächtnis der Nachwelt fortleben, durch ihre Ideen fortwirken, sich in den Kindern fortpflanzen. Das Verlangen nach Unsterblichkeit will das persönliche Ich in irgendeiner Form erhalten. Die Alternative wäre das Nichts. Nur sehr furchtlose oder abgestumpfte Zeitgenossen kommen mit der erwarteten Nichtigkeit des eigenen Seins gut zurecht. Alle anderen fragen früher oder später nach dem Sinn. Wenn der Tod das Leben einfach beendet, welchen Sinn hat dann mein Leben. Denn wenn nichts bleibt, wird Leben beliebig.

Doch noch einmal zurück zu Platon und den Ewigkeitsanbietern im Internet. Beide reden über Unsterblichkeit. Beiden ist klar, dass dieses Leben sich nicht mehr auf den Körper bezieht. Doch damit ist schon das Ende der Gemeinsamkeit erreicht. Für Platon ist die unsterbliche Seele das ewig Lebendige. Internetunternehmen meinen einen unbegrenzten digitalen Datenspeicher, in dem das Bewusstsein eines Menschen hochgeladen wird und er so unabhängig vom Körper weiter existiert. Durch die Algorithmen einer künstlichen Intelligenz bringt er scheinbar Neues hervorbringt und kann mit anderen interagieren.

Jede Erinnerung überdauert potentiell alle Zeiten, selbst wenn die menschlichen Erinnerungsträger längst selbst gestorben sind. Die Einschränkung „potentiell“ ist notwendig, denn die ewige Erinnerung kostet und es ist nicht garantiert, dass die gespeicherten Daten bis ans Ende der Zeit abgerufen werden können.

Weil das Bestreben Mensch und Technik auf einer Ebene zu sehen nicht neu ist, hat die Bewegung, die die Lebensverlängerung und Unsterblichkeit durch technischen Fortschritt propagiert, schon einen Namen: Transhumanismus. Ihr Ziel ist es, die physischen und psychischen Grenzen des Menschen zu überwinden und die unkontrollierbare Evolution durch eine vom Menschen gesteuerte Gestaltung seiner selbst abzulösen.

Wenn der Wind aus dieser Ecke weht, wäre es nicht das Beste, den Cyberspace nicht zu betreten? Diesen Zeitpunkt haben wir schon lange verpasst. Der Upload des Bewusstseins in digitale Speicher hat schon längst begonnen. Digitale Verweigerung hält die Entwicklungen nicht auf. Statt sich zu verweigern, muss die Diskussion um die ethischen Konsequenzen der digitalen Szenarien der Zukunft geführt werden. Unabhängig davon, ob die anvisierte Entwicklung technologisch realistisch ist oder nicht.

Sterblichkeit ist ein hohes Gut

Jeder Mensch verändert sich, ständig. Körperlich - ununterbrochen bauen sich Gewebe, Zellen und Nervenverknüpfungen ab und neu wieder auf. Psychisch - jede neue Erfahrung formt die Erinnerung. Kognitiv - neue Erkenntnisse führen zu einer Neubewertungen vorhandenen Wissens. Auf und Ab geht die Bewegung. Berg und Tal, Anfang und Ende, Geburt und Tod. Zu diesem Auf und Ab gehört auch das Vergessen. Das ist menschlich. Khalil Gibran bezeichnet die Vergesslichkeit als eine Form der Freiheit. Friedrich Nietzsche hält schon in seinem Werk Morgenröte (1881) den Menschen vor, sie seien „Träumer der Unsterblichkeit“.

Die Priester der digitalen Ewigkeit verwechseln digital gespeicherte Anker für Erinnerungen mit Unsterblichkeit. Die Persönlichkeit eines Menschen, sein Geist, sein Wesen, sind digital nicht zu fassen. Die Forscher meinen mit digitaler Technik eine Person zu entkörpern und so ein überdauerndes Substrat seiner Persönlichkeit erhalten zu können.

Die Philosophen und Theologen von der Antike bis in die Gegenwart kennen den Unterschied. Die Frage nach dem Wesen des Menschen beantworten weder der Zellhaufen des Körpers noch die moderne Datensammlung. Der Irrtum fängt bereits dort an, wo Menschen und Daten auf einer Ebene betrachtet werden. Das Missverständnis ist, dass Leben und Tod nicht funktionieren wie die beiden digitalen Zustände „An“ und „Aus“. Leben und Tod gehören zur analogen Welt des Menschen, die Übergänge innerhalb eines Kontinuums kennt. Der analoge Mensch weiß: Leben und Tod sind keine Gegensätze. Der Tod ist nur ein Aspekt des Lebens.

Nur mit dieser Erkenntnis als Grundlage, können wir sinnvoll über Erinnerungskultur im Internet sprechen, ohne die Erinnerung mit Unsterblichkeit zu verwechseln. Das virtuelle Erinnern ermöglichen einen umfassenderen Zugang zu gespeicherten Informationen als es jemals in der Menschheitsgeschichte möglich war. Dieses Erinnern negiert nicht den Tod, sondern nimmt ihn zum Anlass, Erinnernswertes zu bewahren. Sterblichkeit bedeutet: wir alle sind in einem überschaubaren Zeitrahmen „für immer off“.